In 15 Kilometern Entfernung versuchte Kriminalkommissar Albert Winkler, den dunkelblauen Opel Vectra, den er gerade fuhr, trotz völliger Dunkelheit und strömenden Regens auf der engen und kurvenreichen Landstraße zu halten. Es war jetzt 7.oo Uhr abends und Albert Winkler hatte Kriminalkommissar Friedrich Roth vor etwa zwei Stunden am Steuer abgelöst. Kurz darauf hatte ein Regen eingesetzt, der selbst für Ende Oktober ungewöhnlich heftig war. Gerade eben wäre der Wagen in einer scharfen Kurve fast von der Fahrbahn abgekommen und gegen eine der zahlreichen Birken gefahren, die links und rechts der Straße standen. Dennoch hätte Albert Winkler im Moment mit niemandem tauschen wollen. Mit 36 Jahren hatte er nun endlich das erreicht, worauf er seit Beginn seiner Laufbahn als Kriminalpolizist hingearbeitet hatte: Er war damit beauftragt worden, ein paranormales Phänomen zu untersuchen. Dass der 41-jährige Mann, der auf dem Beifahrersitz saß und mit dem er während dieser Ermittlungen zusammenarbeiten würde, seine Euphorie nicht teilte, konnte Albert Winkler noch immer nicht begreifen und so machte er einen weiteren Versuch, bei Friedrich Roth ein wenig Begeisterung für ihren Auftrag zu wecken oder zumindest ein Gespräch über die mysteriösen Ereignisse zu beginnen, die ihrem Auftrag zugrunde lagen.
"Geben Sie doch zu, dass auch Sie unbedingt herausfinden wollen, was es mit diesen angeblichen Geistererscheinungen auf sich hat!"
"Das einzige, was ich herausfinden will, ist, warum Mitarbeiter des BKA sich mit Problemen beschäftigen dürfen, um die sich wohl eher ein paar Psychiater kümmern sollten. Aber immer noch besser, als wenn wir uns mit solchen Lappalien beschäftigen würden wie dem internationalen Terrorismus oder der Russenmafia."
"Na hör'n Sie mal! Wenn innerhalb eines Monats 27 Einwohner einer normalen Kleinstadt sagen, sie hätten Geister in ihren Wohnungen gesehen, und von diesen 27 Personen keine einzige im Verdacht steht, ein Verrückter oder ein Wichtigtuer zu sein, dann ist das meiner Meinung nach sehr wohl eine Aufgabe für das BKA."
Der Regen ließ nach und Albert Winkler stellte die Scheibenwischer auf eine niedrigere Stufe. In der Wolkendecke bildeten sich ein paar Lücken, durch die ein zunehmender Halbmond und einige Sterne zu sehen waren.
"Wissen Sie", versuchte er nach etwa zehn Minuten, das Gespräch fortzusetzen, "das klingt vielleicht blöd, aber es kommt mir vor, als wäre ich in einer Folge von ,Akte X'."
"Na, wenn Sie meinen, Special Agent Mulder. Und wie lautet ihre Theorie bezüglich dieser unerklärlichen Phänomene?"
"Wenn sie unerklärlich wären, dann würde es gar keinen Sinn machen, eine Theorie aufzustellen. Nun, ich könnte mir vorstellen, dass es sich um Botschaften intelligenter außerirdischer Lebensformen handelt. Aber das ist bloß so eine Vermutung. Und was ist Ihre Meinung?"
"Entweder enthält das Trinkwasser in dieser Kleinstadt etwas, das da wirklich nicht reingehört, oder aber das Ganze ist ein riesiger Werbegag."
"Ein Werbegag?"
"Ja, in drei Tagen ist der Vorabend zu Allerheiligen oder, wie das seit neuestem heißt, Halloween. Was könnte das Interesse an dieser kommerziellen Veranstaltung besser wecken als Geistererscheinungen?"
Gerade als Albert Winkler etwas darauf erwidern wollte, musste er scharf bremsen, da er das Ortsschild vor ihnen zu spät bemerkt hatte. Bevor der Opel Vectra aber mit 65 km/h die Ortsgrenze passierte, konnten die beiden Kriminalkommissare noch das Ortsschild lesen und feststellen, dass sie ihr Ziel, Waldhofen im Landkreis Augsburg, erreicht hatten.

 

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